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06.02.2012

Bibliothek der Zukunft

Vor einer Woche hatte ich hier von der Zukunft der Bibliothek gesprochen, orientiert an der aktuellen Diskussion in meiner mönchengladbacher Heimat. Hier nun folgt die logische Fortsetzung: Die Bibliothek der Zukunft und wie eBooks in das System passen, wenn ich es doch für einen Fehler halte, bestehende Bibliotheken auf diese Technologie umzustellen. Und da ich schon aufgrund der räumlichen Entfernung nicht zur Prototype in Leipzig kann, tu ich das hier im Blog.

Normalerweise braucht man keine örtliche Bindung, um eBooks auszuleihen. Daher ist im Grunde kein Bibliotheksgebäude nötig, was aber auch den negativen Effekt hat, dass Literatur sich aus der öffentlichen Wahrnehmbarkeit zurückzieht. Die Schaffung eines Bibliothekskonzepts ist somit Kulturförderung und seien wir ehrlich: Wirtschaftsförderung, denn Kultur ist auch ein Wirtschaftszweig. Es braucht daher ein Konzept, das eBooks lesen mit einer örtlichen Zuordnung verbindet, einen besonderen Ort für eBooks schafft. Zugleich kann es ein Problem lösen, dass bei eBooks nicht annähernd so leicht lösbar ist wie bei Papierbüchern: Der Zugang zu Kultur auch für finanziell schlechter Gestellte.
Dieses Bibliothekskonzept ist in mehrere Ebenen gegliedert und ich geh jetzt Ebene für Ebene durch, von innen nach aussen.

1: Leseraum & lokale Leihpauschale
Der Kern des Konzepts ist die Bibliothek selbst: An die Stelle eines großen Gebäudes mit Regalreihen voller Bücher tritt ein weitläufiger Leseraum mit Couchs und Tischen. Gegen eine jährliche oder monatliche Pauschale können die Kunden hier aus dem gesamten Angebot lesen. Technisch läuft das über ein lokales Netzwerk: Im Laden gibt es einen Sender, der ein relativ kleines kabelloses Netzwerk aufbaut. Lesegeräte in diesem Netzwerk können beliebig Inhalte vom Bibliotheksserver abfragen, der diese liefert. Ob der Sender dabei die komplette Buchdatei überträgt oder immer nur eine Seite, ist relativ egal.
Im Gegenzug haben die Lesegeräte eine entsprechende Software, die die Ausleihfunktion aktiviert, sobald das Netzwerk verfügbar ist. Das Lesegerät selbst bleibt im Besitz der Bibliothek, die es ausgegeben hat, wird den Nutzern aber dauerhaft überlassen und kann bei zusätzlichen Bibliotheken registriert werden (dazu sollte ausreichend selten Bedürfnis bestehen, dass man diesen Service ruhig bieten kann). Wer will kann das Lesegerät auch kaufen.
Als Ort für eine solche Einrichtung eignen sich hervorragend die leer stehenden Plattenläden und Videotheken in den Innenstädten: Groß, geräumig, hell. Perfekt, um ein paar gemütliche Möbel zum Lesen reinzustellen. So soll ein Raum geschaffen werden, in dem man in Ruhe und fern vom Alltag (nicht jeder liest gern zu Hause, wo Familie, Arbeit und Postbote nerven können) einfach nur lesen kann. Hauptprodukt dieser Ebene sind nicht die Bücher, sondern das Lesen.

2: Mitnahmeoption
Was dieses Modell gegenüber Online-Angeboten benachteiligt ist, dass man die Bücher nicht an beliebigen Orten ausleihen kann. Hier kommt die zweite Ebene ins Spiel: Gegen einen geringen Preis (10 Cent pro Woche? 1 Cent pro Tag? Müsste man durchrechnen und auch mit dem Kaufpreis abwägen) erwirbt man das Recht, ein Buch für eine gewisse Zeit auf seinem Lesegerät mitzunehmen.
Das erfordert natürlich eine Rechteverwaltung in dem Gerät, das zeitlich begrenzte Leserechte verwalten kann. Technisch kein Problem, aber meines Wissens bisher auf dem eBook-Markt nicht vorhanden.

3: Verkauf
Zuletzt ist es auch möglich, eBooks ganz normal zum vom Autoren festgelegten Preis zu kaufen. Nach dem Kauf gibt der Server dem Verkäufer entweder eine lizenzfreie Datei des Buches oder trägt es als gekauft in die Rechteverwaltung des Gerätes ein (ersteres wäre kundenfreundlicher, letzteres hätten die Verlage lieber). Um Datenverlust bei Verlust oder Austausch des Lesegeräts zu vermeiden speichert auch die Bibliothek eine Liste der vom Kunden erworbenen Bücher. Diese Liste wird in einer gemeinsamen Nutzerverwaltung der eBibliotheken gespeichert, damit der Nutzer auch dann noch auf seine Bücher zugreifen kann, wenn er umzieht oder die Bibliothek zugemacht hat.

4: Druckerei
Verfolgen wir die Entwicklung anderer verschwindender Technologien wie der Schallplatte, dem Bogenschießen oder der Fortbewegung per Pferd, findet sich ein gemeinsamer Trend: Die bisher normale Technologie wurde zu einem Sport oder Hobby, für das enorm viel Geld ausgegeben wird. Diesen Trend kann man im Buchbereich von vorneherein nutzen.
Ganz in der Tradition der alten Verlagsbuchhandlungen verfügen diese Bibliotheken der Zukunft über genau jene Gerät, dessen Untergang viele momentan vorhersagen: Eine Druckmaschine. Die alten Berufsbilder des Buchdruckers und Buchbinders erleben einen Wiederaufschwung durch die Herstellung handgefertigter gedruckter Editionen der zum Standart gewordenen eBooks. Diese Sparte existiert jetzt schon - gibt man ihr den gewaltigen eBook-Markt als Inhalt für ihre Produkte an die Hand, kann sie nach langem Siechtum wiederkehren. Es wird nicht viele Drucker geben, vielleicht zwei-drei in einer großen Stadt, aber sie werden einmalige Produkte bieten und entsprechend teuer verkaufen können für ein exklusives Publikum. Jenseits eines kollektivistischen Verlagswesens, das zunehmend als überflüssiger Wirtschaftszweig verschwindet werden sie individuelle Schmuckstücke fertigen.

Gesamtbild
Und das ist dann die neue Bibliothek: Ein großer Lesesaal mit einem Server für die Bücher und einer angeschlossenen Handwerksdruckerei, die teure Printeditionen für Sammler und Liebhaber herstellt. Print existiert in den alten Papierbibliotheken und als Handwerksprodukt für jene, denen diese Spezialform eines Buches der Preis wert ist. Buchhandlungen sind zunehmend zu eBibliotheken geworden, ob das Verlagswesen überhaupt noch existiert wage ich zu bezweifeln, sofern es nicht eine stichhaltige Rechtfertigung für seinen Fortbestand findet. Und in irgendeiner Form steht jedem Leser jedes Buch zur Verfügung.
Die technischen Hürden sind gering, im Grunde geht es nur um Software, die noch fehlt. Die Hardware besteht aus einem Server, einem Kabellosnetzwerk und einem eReader pro Kunde. Wenn jemand die Möglichkeiten hat und so etwas umsetzen will, sagt mir Bescheid, ich beteilige mich gerne ideell und berichte auch gerne darüber wie das Experiment läuft.

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