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30.12.2011

Buchpreisbindung en detail

Vorabhinweis: Obwohl ich mich bei einigen befreundeten Juristen informiert habe kann der folgende Text eine individuelle Rechtsberatung durch einen examinierten Juristen nicht ersetzen. Ich bin kein Rechtsanwalt. Ohnehin ist jede rechtliche Einschätzung vorbehaltlich einer richterlichen Entscheidung zum Thema.

Eigentlich wollte ich heute ja auf das Jahr 2011 zurückblicken, aber das mach ich dann morgen. Jetzt erstmal zum Problemfall amazon.de, eBook-Verlagswesen und die luxemburgische Mehrwertsteueränderung 2012.
Inzwischen dürften es die meisten mitbekommen haben: Luxemburg ändert die Mehrwertsteuer. Konkret werden eBooks in Zukunft nicht mehr mit dem vollen Satz (15%) besteuert, sondern dem reduzierten Satz der gedruckten Bücher (3%) gleichgestellt. Deutsche eBook-Autoren betrifft das aufgrund einer Kombination von zwei Faktoren:

  1. Amazon.de sitzt in Luxemburg, weshalb für die Verkäufe der dortige Mehrwertsteuersatz gilt
  2. Amazon.de verkauft an Deutsche, weswegen das hiesige Buchpreisbindungsgesetz (BuchPrG) gilt
Amazon weiss das auch, die haben genug Anwälte, um auf sowas ein Auge zu halten. Das Resultat deren Tätigkeit war dann diese Mail hier, die vorgestern an alle europäischen KDP-Autoren ging:
Guten Tag,

Wie Sie wissen, beinhaltet der von Ihnen für Ihre Bücher übermittelte Listenpreis keine Mehrwertsteuer und wir fügen die Mehrwertsteuer zum Buchpreis hinzu, sofern diese anfällt. Zum 1. Januar 2012 wird sich der Mehrwertsteuersatz, der von uns zu Ihrem auf den EU Webseiten verkauften Buch hinzugefügt wird, von 15% auf 3% ändern.

Wenn Sie den Listenpreis Ihres Buches aus irgendwelchen Gründen -¬ zum Beispiel um gesetzlichen Bestimmungen hinsichtlich eines einheitlichen Buchpreises nachzukommen - verändern wollen, dann können Sie dies jederzeit in Ihrem KDP Konto veranlassen.

Bei Fragen kontaktieren Sie uns unter https://kdp.amazon.com/self-publishing/contact-us

Vielen Dank für die Verwendung von Amazon KDP.

Freundliche Grüße,

Kindle Direct Publishing
http://kdp.amazon.de
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Das ist... dürftig.
Anstatt klipp und klar zu sagen, wer welche Bücher wann anpassen muss wird kurz darauf hingewiesen, dass es in einigen Ländern möglicherweise eine Buchpreisbindung gibt, an die man möglicherweise seine Buchpreise anpassen muss. Was okay gewesen wäre, hätten wir die Mail vor einem Monat erhalten und damit genug Zeit gehabt, uns zu informieren und gegebenenfalls einen Anwalt zu sprechen (und einen Anwalt zu Verlagsrecht muss man erstmal finden, das ist eine eher exotische Spezialisierung).

Nun denn, die Kurzfassung: Angepasst werden müssen alle auf amazon.de verkauften deutschsprachigen eBooks von in Deutschland lebenden Verlegern (einschließlich Selbstverlegern), egal ob sie eine ISBN haben oder nicht.

Und jetzt die Langfassung.
Das Gesetz über die Preisbindung für Bücher ist ein relativ kurzes Gesetz. 11 Paragraphen, die meisten nur einen Absatz oder zwei lang. Hier ist der gesamte Gesetzestext zum Nachschlagen auf der Seite des Bundesjustizministeriums. Sollte jeder, der in Deutschland selber Bücher verlegt gelesen haben. Österreich hat ein ähnliches Gesetz, aber von österreichischer Rechtssprechung habe ich schlichtweg keine Ahnung, daher beschränke ich mich auf das deutsche Gesetz. Die Schweiz hat die Buchpreisbindung 2007 abgeschafft und diese Entscheidung diesen Herbst in einem Volksentscheid bestätigt.
Korrektur, 1. 1. 2012: Ob die Schweiz die Preisbindung wieder einführt, wird im März durch ein referendum entschieden. Vielen Dank für den Hinweis an David Herzog

Also, graben wir uns ein:

Zuständigkeit für eBooks
§ 2 Anwendungsbereich
(1) Bücher im Sinne dieses Gesetzes sind auch
  1. Musiknoten,
  2. kartographische Produkte,
  3. Produkte, die Bücher, Musiknoten oder kartographische Produkte reproduzieren oder substituieren und bei Würdigung der Gesamtumstände als überwiegend verlags- oder buchhandelstypisch anzusehen sind sowie
  4. kombinierte Objekte, bei denen eines der genannten Erzeugnisse die Hauptsache bildet.
(2) Fremdsprachige Bücher fallen nur dann unter dieses Gesetz, wenn sie überwiegend für den Absatz in Deutschland bestimmt sind.
(3) Letztabnehmer im Sinne dieses Gesetzes ist, wer Bücher zu anderen Zwecken als dem Weiterverkauf erwirbt.
Wichtig ist hier Nummer drei in Absatz 1.
eBooks gelten laut Börsenverein des deutschen Buchhandels als "Produkte, die Bücher [...] substituieren". Interessant ist auch Absatz 2: Fremdsprachige Bücher, die nicht primär für den deutschen Markt bestimmt sind, sind von der Buchpreisbindung ausgenommen.
Um mich mal als Beispiel herzunehmen: Das bedeutet, dass mein deutschsprachiges Buch Dieses Cover ist Müll von diesem Gesetz betroffen ist, die von mir verlegten englischsprachigen und nicht auf den deutschen Markt ausgerichteten Romane Armata von Thomas Erskine und The Last American von John Ames Mitchell dagegen nicht.

Zuständigkeit für Amazon.de
§ 4 Grenzüberschreitende Verkäufe
(1) Die Preisbindung gilt nicht für grenzüberschreitende Verkäufe innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraumes.
(2) Der nach § 5 festgesetzte Endpreis ist auf grenzüberschreitende Verkäufe von Büchern innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraumes anzuwenden, wenn sich aus objektiven Umständen ergibt, dass die betreffenden Bücher allein zum Zwecke ihrer Wiedereinfuhr ausgeführt worden sind, um dieses Gesetz zu umgehen.
Einige Kommentatoren gehen davon aus, das Gesetz gelte für amazon.de nicht, da die Firma in Luxemburg sitzt. Das Problem hierbei ist, dass Amazon zwar als luxemburger Unternehmen gilt (was für die Mehrwertsteuer im Versandhandel maßgeblich ist), die Verkaufsplattform amazon.de als .de-Domain hingegen als deutscher Händler (was für die Buchpreisbindung maßgeblich ist). Zumindest ist das die Praxis, wie im Jugendschutz mit .de-Domains verfahren wird, im Verlagsrecht gibt es da meines Wissens noch keine Fälle.
Das wiederum bedeutet, dass der Verkauf bei amazon.de als Wiedereinfuhr gilt. Eine Gesetzeslücke, die dem Gesetzgeber bei der Formulierung des BuchPrG offensichtlich völlig bewusst war und gar nicht erst offen gelassen wurde.

Ausnahmefall: Aufhebbarkeit der Preisbindung
§ 8 Dauer der Preisbindung
(1) Verleger und Importeure sind berechtigt, durch Veröffentlichung in geeigneter Weise die Preisbindung für Buchausgaben aufzuheben, deren erstes Erscheinen länger als 18 Monate zurückliegt.
(2) Bei Büchern, die in einem Abstand von weniger als 18 Monaten wiederkehrend erscheinen oder deren Inhalt mit dem Erreichen eines bestimmten Datums oder Ereignisses erheblich an Wert verliert, ist eine Beendigung der Preisbindung durch den Verleger oder Importeur ohne Beachtung der Frist gemäß Absatz 1 nach Ablauf eines angemessenen Zeitraums seit Erscheinen möglich.
Die Buchpreisbindung gilt nicht ewig. Eine Preisänderung ist nach 18 Monaten möglich. Andere Ausnahmen (Verramschung, Eigenbedarf, gebrauchte Bücher etc.) existieren zwar, sind aber alle für eBooks soweit ich das sehen kann nicht relevant.
Das Interessante hier ist: Bücher, die schon länger als 18 Monate im Verkauf sind, müssen nur angepasst werden, wenn sie auch bei anderen Händlern als amazon verkauft werden, da eine Preisänderung nach diesem Zeitraum ohnehin zulässig ist. Entweder bei allen auf den neuen amazon-Preis oder bei amazon auf den Preis, den es bei den anderen Händlern kostet. Die Preisänderung direkt beim Händler ist eine "Veröffentlichung in geeigneter Weise". Da das Buch allerdings überall gleich kosten muss ist es hier wichtig, keinen zu übersehen.

Was wird eigentlich festgesetzt?
Hier wird es gemein: Der bei amazon festgesetzte Preis ist nicht der Preis, den man laut BuchPrG festlegen muss, denn dieser enthält explizit auch die Mehrwertsteuer:
§ 5 Preisfestsetzung
(1) Wer Bücher verlegt oder importiert, ist verpflichtet, einen Preis einschließlich Umsatzsteuer (Endpreis) für die Ausgabe eines Buches für den Verkauf an Letztabnehmer festzusetzen und in geeigneter Weise zu veröffentlichen. Entsprechendes gilt für Änderungen des Endpreises.
(2) Wer Bücher importiert, darf zur Festsetzung des Endpreises den vom Verleger des Verlagsstaates für Deutschland empfohlenen Letztabnehmerpreis einschließlich der in Deutschland jeweils geltenden Mehrwertsteuer nicht unterschreiten. Hat der Verleger keinen Preis für Deutschland empfohlen, so darf der Importeur zur Festsetzung des Endpreises den für den Verlagsstaat festgesetzten oder empfohlenen Nettopreis des Verlegers für Endabnehmer zuzüglich der in Deutschland jeweils geltenden Mehrwertsteuer nicht unterschreiten.
[...]
Das heisst: Hat ein Buch zuvor inklusive Mehrwertsteuer 3,99 € gekostet, muss es auch weiterhin inklusive Mehrwertsteuer 3,99 € kosten. Das bedeutet, der in diesem Beispiel bei amazon festgelegte Preis ohne Mehrwertsteuer muss von 3,47 € auf 3,87 € geändert werden.
Ausschlaggebend ist, dass der Preis, den der Kunde letztendlich bezahlt, identisch bleibt. Kurz mal die beliebtesten eBook-Preise und wie sie in Zukunft bei amazon festgelegt werden:
Endpreis 0,99 € Alt: 0,86 € Neu: 0,96 €
Endpreis 2,99 € Alt: 2,60 € Neu: 2,90 €
Rechenmethode: (Endpreis in Cent) : 103 = (bei Amazon einzugebender Preis in Euro)

6 Kommentare:

Prinz Rupi hat gesagt…

Mal abgesehen davon, dass die aktuelle Diskussion den Schwachsinn der Buchpreisbindung für E-Books an sich belegt, die ja vor wenigen Jahren noch explizit von der Preisbindung ausgeklammert waren, seien marginale Ergänzungen gestattet:
1. Die Diskussion um die Umsatzsteuer dürfte spätestens 2015 beendet sein, da dann eine EU-einheitliche Besteuerung erfolgen soll. Dabei bleibt zu hoffen, dass nicht der deutsche Schwachsinn von aktuell 19 Prozent (Holzbücher hingegen 7%) sondern das luxemburgische Modell von reduzierten 3 Prozent zum Tragen kommt;
2. Es geht im Preisbindungsgesetz qua definitionem immer darum, dass E-Books "richtige" Bücher "substituieren". Nun ist es aber gerade bei vielen Selbstverlegern so, dass nichts substituiert wird, vielmehr ist das Elektrobuch das origine und ausschließliche Buch. Streng genommen dürften all diese Werke überhaupt keine Preisbindungsreife (klingt das nicht zauberhaft?!) erreichen.
ERGO: Das Terrain ist vermint und bietet an jeder Ecke Ansatzpunkte für juristische Scharmützel. Darum halte ich es wie der Verfasser für unbedingt angeraten, die Einheitlichkeit der Bruttopreise (Ladenpreise incl. MWST) zu sichern - und da ist der im Aussenverhältnis agierende VerlegerAutor zuständig, da Amazon.de das nicht geregelt kriegt.

David hat gesagt…

"Die Schweiz hat die Buchpreisbindung 2007 abgeschafft und diese Entscheidung diesen Herbst in einem Volksentscheid bestätigt."

Falsch. Das Schweizer Parlament hat letzten Sommer die (Wieder-)Einführung der Buchpreisbindung beschlossen. Das Referendum kam zustande, weshalb am 11. März 2012 die Volksabstimmung darüber stattfinden wird.

Thomas Diehl hat gesagt…

Vielen Dank für den Hinweis zur Schweiz, ist jetzt korrigiert.

Zur Substitution: Der Börsenverein geht offenbar davon aus, dass das Medium an sich gemeint ist, nicht das jeweilige Einzelwerk.
Die Einschätzung zum (Un-)Sinn der Buchpreisbindung teile ich übrigens.

Übrigens hat Amazon aktuell offenbar den Mehrwertsteuersatz noch nicht angepasst - mein rechtzeitig angepasstes Buch kostet nun 12% zuviel. Tolle Soße.

Prinz Rupi hat gesagt…

Über er sich in Geduld! Bei meinen 15 Titeln ist alles erledigt - und die Korrekturen wurden sogar schon von Amazon eingepflegt. Bei rund 90.000 Titeln kommen die Amazonen kaum hinterher. Hätte alles sehr viel einfacher gelöst werden können …

Tina Folsom hat gesagt…

Sie haben geschrieben: Angepasst werden müssen alle auf amazon.de verkauften deutschsprachigen eBooks von in Deutschland lebenden Verlegern (einschließlich Selbstverlegern)...

Heisst das, dass wenn der Verleger im Ausland lebt (wie ich) sich nicht an die deutsche Buchpreisbinding halten muss, selbst wenn ich deutsche Buecher ueber Amazon in Deutschland verkaufe?

Thomas Diehl hat gesagt…

Ja. Es kann sein, dass Ihr eigenes Heimatland ein ähnliches Gesetz hat (z.B. Frankreich, Niederlande, Österreich), aber das deutsche Buchpreisbindungsgesetz gilt grundsätzlich nur für Deutsche (und .de-Webseiten).